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Erfahrungsbericht zur Deutschen Hallen-Meisterschaft 2017 (von Andreas Wilke)


Mach ich's, mach ich's nicht, es reizt mich schon, aber der zeitliche Aufwand, Urlaub nehmen, Hotel- und Spritkosten, hohes Nenngeld, Bedenken sich sportlich zu blamieren....es spielten viele Gedanken eine Rolle bei meiner Entscheidungsfindung für das Thema "melde ich zur deutschen Meisterschaft oder nicht?"

Meldeschluss war am 23.01. um 23:59 Uhr. Immer wieder schaute ich nach wer denn schon gemeldet hatte, was für Leute dabei sind, ob ich jemanden finde der schlagbar erschien....ich kannte keinen einzigen davon. Bis auf 2-3 Ausnahmen gab es hier nur Spieler mit Lk5 bis 7....ein starkes Feld. Eine gute Freundin gab dann den Anstoß die Meldung abzusenden....23:45 Uhr war ich "drin", gemeldet zur deutschen Hallenmeisterschaft der Senioren in Essen.

Ich hatte es also getan, 80,- Euro verpulverisiert, so hoch ist das Nenngeld. Jetzt musste ich einiges tun: Urlaub einreichen, Hotel buchen, vielleicht mal die Ausschreibung lesen....Ausschreibung lesen war ein guter Plan. Dort erfuhr ich dass meine Konkurrenz auf Hartplatz ausgetragen werden würde. Das ist ja schon mal blöd denn dort spielt es sich anders als auf Teppich. Und dann wird ein 48er Feld gespielt, wovon 34 direkt im Hauptfeld sind, 6 Wildcards werden vergeben und die letzten 8 Plätze werden in einer Qualifikation ausgespielt.
Die Quali läuft auch noch am WE vor der eigentlichen Turnierwoche, wie unpraktisch. Das Teilnehmerfeld war letztlich auf 72 Meldungen in meiner Altersklasse angestiegen und es galt nun unter die ersten 34 zu kommen um nicht in die Quali zu müssen....ich wurde 36ter, musste in die Qualifikation und war dort an 2 gesetzt.
Es stand also fest dass ich am Freitag den 10.02. nach Essen musste, mein Spiel war für 18:00 angesetzt.

Abfahrt
Das ist ein ordentlicher Ritt nach Essen, laut Navi 3,5 h Fahrt, bisschen Stau gehabt und kurz nach 15:00 Uhr im Hotel angekommen. Eingecheckt, wieder ins Auto und dann 10 Minuten zur Tennishalle gefahren. Da stand ich nun vor der größten Tennishalle Deutschlands, 12 Plätze, 5 auf der einen Seite, 7 auf der anderen, getrennt durch einen Gang der es einem ermöglicht überall zuzusehen.
Karre abgestellt, Tasche auf den Rücken und los.
Es wirkte nun bei weitem nicht so pompös wie ich es erwartet hatte...was hatte ich eigentlich erwartet? Naja, deutsche Meisterschaft....es ist trotzdem nur ein ganz normales Turnier, es gibt genau so eine Turnierleitung, einen Oberschiri, eine Gastro, reichlich Spieler, einen Besaiter vor Ort...nur die Halle ist etwas größer.



Im Vorraum der Halle erhalte ich an der Anmeldung ein Mäppchen mit ganz wichtigen Unterlagen, die sich als Schrott (Werbung, Flyer, Müll) erweisen....bei anderen Turnieren gab es da schon mal eine Tennissaite zur Begrüßung, aber hier muss man wohl froh sein dabei sein zu dürfen :-D Danach ging es zur Turnierleitung wo ich mich nochmal anmelden musste. So, jetzt war ich also dabei, schnell umgezogen, rein in die Halle und Turnierluft des größten deutschen Tennisturniers auf Amateurebene geniessen.



Gleich am ersten Platz blieb ich hängen, 2 Herren 50er nagelten sich die Bälle um die Ohren, auf dem Gang vor dem Platz eine Bank mit einer hübschen Blondine die zweifelsfrei einen der beiden Spieler anfeuerte....ok, da setz ich mich erstmal dazu ;-) Schnell waren die ersten Worte gefunden und es stellte sich heraus dass sie tatsächlich zu einem der beiden Spieler gehörte, nämlich zu dem der das linke Knie auf doppelte Stärke bandagiert hatte und am rechten einen Apparat mit Schienen trug und gerade zum Hechtflugball ansetzte :-O wohl gemerkt auf Hartplatz! Alter Schwede, harte Jungs hier!

Vorrunde Match 1
Ich durfte dann endlich um 19:30 auf den Platz, als letztes Match des Abends, super.
Nach anfänglicher Nervosität pulverisierte ich meinen Gegner Dirk 6:3 6:1, er war ein bisschen geknickt und stellte wehleidig fest dass er mir besser nicht auf die Vorhand gespielt hätte...hinterher ist man immer schlauer :-D Trinken wollte er nichts mehr, ok, 5,- gespart.

Vorrunde Match 2
Nach der Nacht im nicht luxuriösen aber zweckmäßigen Hotelzimmer kurz gefrühstückt und ab zur Halle. Diesmal pünktlich begann mein Spiel auf Platz 15 (warum eigentlich Platz 15 wo die doch nur 12 haben?). Mein technisch guter Gegner Thorsten versuchte mitzuhalten tat dies aber vergeblich, es war ihm einfach schlicht zu schnell und so dauerte es eine gute Stunde als wir uns schon wieder beim Shakehands gegenüber standen, 6:1 6:0 ging es aus. Auch er wollte nichts trinken, schon wieder Geld gespart.

Geduscht, Sachen ins Auto und Abfahrt gen Heimat, die nun erreichte Hauptrunde begann erst am Dienstag den 14.02..

1. Hauptrunde
Am Dienstag Mittag schwang ich mich wieder ins Auto und für die ja mittlerweile bekannten 380km brauchte es rund 4 Stunden. Im Hotel angekommen wieder schnell eingecheckt und zur Halle gefahren. Dort war es schon richtig voll, Hauptrunde ist halt doch anders als Vorrunde. Pünktlich 19:30 kam ich auf Platz 1. Mein Gegner war eher der stille Typ, außer Namen austauschen (er hieß Frank) redete er nicht viel. Muss ja auch nicht sein.
Ich hatte mir vorgenommen ihn gar nicht ins Spiel kommen zu lassen und gleich von Beginn an Vollgas zu geben. Das klappte auch zunächst gut, ich machte die ersten 10 Punkte in Folge durch direkte Schüsse, er wusste gar nicht wie ihm geschieht. Nach einigen Minuten führte ich bereits 4:0. Doch plötzlich traf ich die Pille einfach nicht mehr so, ich nahm ein wenig Druck raus und siehe da, der konnte recht gut Tennis spielen, wenn man ihn denn lässt.
Und ehe ich mich versah drehte sich das Match, ihm gelang viel, mir gefühlt nichts mehr. Plötzlich lag ich 4:5 hinten und mein Racket rutschte mir versehentlich aus der Hand :-O dann passierte was witziges. Ein Herren 40 Spieler machte sich auf dem Gang hinter unserem Platz warm und ich ging in seine Richtung um einen dort liegenden Ball zu holen. Ich wollte grad zu ihm sagen dass Tennis doch ein Sch....sport sei als er mich plötzlich anstarrte, die Augen ganz weit aufriss und mich anschrie "COME ON, COME ON, COME ON!!!!"
Keine Ahnung warum, aber irgendwie fokussierte mich das wieder auf's Match und ich fuhr den Satz 7:5 ein. Im zweiten Satz ging es easy mit 6:3 in meine Richtung. Mein Ziel die erste Hauptrunde bei der deutschen Meisterschaft zu überstehen war erreicht, und es fühlte sich verdammt gut an.
Ach ja, mein Gegner wollte auch nichts mehr trinken...seh ich so arm aus???

Ich fuhr dann also wieder ins Hotel, gleiche Prozedur wie letztes Mal, schlafen, frühstücken und ab zur Rezeption. Da meine nächstes Match um 13:30 war hätte ich bei einer Niederlage das Zimmer nicht mehr gebraucht sondern wäre direkt nach Haus gefahren. Man empfahl mir auszuchecken und bei Bedarf (im Falle eines Sieges) erneut einzuchecken. Gesagt getan und Abfahrt zur Halle.

2. Hauptrunde
Mein Gegner Aleksander mit stark russischem Akzent war an 12 gesetzt. Es war ein drahtiger Typ. Zum Einspielen nahm er 3 Rackets mit nach hinten, stellte sie ab, überlegte kurz und griff dann eines davon. Er überraschte mich beim einspielen mit ein paar Mondbällen, irgendwie ungewöhnlich. Als ich ihm dann wieder einen Ball zuspielte drehte er sich einfach um und wechselte das Racket, so als wäre ich gar nicht da. :-| Na der will nachher bestimmt auch nichts trinken, dachte ich mir, ließ mir aber nichts anmerken. Es ging Ruckzuck, 6:2 4:1 liege ich vorne als ich plötzlich beim Laufen in beiden Waden ein anziehen der Muskeln spüre. "Bloß keine Krämpfe kriegen jetzt!".
Ich mache also ein bisschen weniger und siehe da, er nutzt die Gelegenheit und fängt an mich über den Platz zu schicken.
Das ist doch ätzend, kaum schaltet man mal einen Gang runter wittern die Jungs Morgenluft und greifen an. Ich verlor die nächsten 3 Spiele und quälte mich mittlerweile nicht mehr so richtig lauffähig in den TieBreak. Dort kam ich nach 1:5 Rückstand auf 4:5 heran...und dann passierte es!

Aleksander spielte in seiner Gier nach Punkten einen schrägen Crossball auf meine Vorhand, ich wollte diesen Ball unbedingt, ich lief los und im Laufen kollabierten meine Muskeln in den Beinen. Der linke Oberschenkel machte total zu und die rechte Wade wollte dem in nichts nachstehen und zog auch bis zum Anschlag an. Ich verrate kein Geheimnis wenn ich sage dass man damit nicht nur  nicht mehr laufen kann, man fällt unweigerlich im wahrsten Sinne auf die Schnauze. Da ich grad auf dem Weg nach außen war fing mich das Netz zum Nachbarplatz auf, wo ich dann lag und nicht mehr aufstehen konnte! Mein linker Oberschenkel war voll kontrahiert und lies auch nicht mehr nach. Das tut ganz schön weh :-O meine rechte Wade krampfte so doll dass der Fuß nach unten gezogen wurde, ich konnte den Fuß nicht mehr durchstrecken, wie man so einen Wadenkrampf ja meistens löst. Ich kam auch nicht an meine Fussspitze mit den Fingern um den Fuß mit der Hand hochzuziehen, und parallel zeigte mir der linke Oberschenkel immer noch wie stark so ein Muskel krampfen kann. Das war ganz schön blöd...vom Nachbarplatz liefen 2 Spieler zu mir jeder packte ein Bein und die zogen und bogen an mir rum was das Zeug hält, aber es entkrampfte nichts. Dann hör ich links neben mir "Mach den Mund auf" :-O mir war alles egal mittlerweile und eh ich mich versah pumpte mir ein Spieler vom Platz auf der anderen Seite eine Tube Aminosäure in den Hals. Im nächsten Moment kam der Oberschiri angewackelt, dahinter die Physiotante "Imke" (sie ist die Beste!) und ein bulliger Typ mit einem Handy in der Hand. Der Schiri fragte was los sei. Da ich wusste dass Krämpfe nicht gut sind da sie nicht vom Physio behandelt werden dürfen  sagte ich ich sei umgeknickt. Imke sah sofort was los war und sagte das ist ne Muskelzerrung :-) Schiri war zufrieden und ging wieder Kekse essen und der kräftige Mann mit dem Handy fing an die Zeit zu stoppen. "3 Minuten" knurrte er. Imke fragte "wieviel brauchst Du noch?". Ich sagte "4 Punkte", woraufhin sie mich anschmunzelte und sagte "beiss jetzt mal die Zähne zusammen". Imke griff beherzt in den zum Bersten angespannten Oberschenkelmuskel und rieb und drückte das mir Hören und Sehen verging. "Noch 2 Minuten!" hörte ich ihn sagen, die Beinstrecker vom Nebenplatz spielten bereits wieder, mein Gegner machte ein paar Aufschläge und Imke gab alles. Das nächste was ich vernahm war ein trockenes "Zeit vorbei!".
Imke half mir auf, ich war recht wackelig und ich ging ein paar Schritte bis zur Grundlinie. Als alle wieder vom Platz waren und mein Gegner schon mit den Hufen auf der anderen Seite scharrte war mir klar: Du brauchst jetzt 4 direkte Punkte ohne dabei laufen zu müssen, einen dritten Satz überstehst Du nicht. Der Aufschlag kam, ich bewegte mich keinen Zentimeter, holte aus und rammte den Ball cross zurück, Aleksander hatte noch nicht ganz ausgeschwungen als er verdutzt bemerkte dass der Ball schon zurück war. 5:6!

Dann musste ich aufschlagen, und es gelang mir mein einziges As in diesem Match. 6:6 und Aleksander war nicht mehr amused. Ich schlug noch einmal auf, den für meine Verhältnisse harten Aufschlag konnte er nur blocken, der Ball kam im Bogen Richtung T-Linie, aber ich konnte ja nicht hinlaufen, so musste ich tatsächlich warten bis der Ball ca. auf Kniehöhe endlich in Schlagweite war und zimmerte mit der Vorhand schräg in seine Rückhandecke. Ich sah dass der Ball nicht mehr als 1 cm über die Netzkante strich, das sah Aleksander auch aber er kam nicht mehr ran. Wow, 3 Punkte aus dem Stand, ich führte 7:6.
Jetzt schlug er wieder auf, versuchte mich auf der Rückhand zu erwischen. Ich machte zwei schnelle Schritte nach links, was mir sofort in die Wade schoss, Augen zu und draufgehauen....longline ins Eck. 8:6, gewonnen, das war cool :-P
Dass ich mir auch diesmal das auszugebende Getränk sparen konnte kann man sich wohl denken. ;-)

Jetzt rief ich das Hotel schnell an dass ich doch noch ein Zimmer bräuchte. Es gab nur noch eines im "alten Hotelbereich". Hmmmmm, egal, ich nahm es. Der Weg zur Dusche und später zum Auto war kein Spaß. Trotzdem kam ich irgendwann an und lag dann auf meinem Bettchen und war dann irgendwie bewegungsunfähig. Was für ein Trip.
Als ich dann schlafen wollte erfuhr ich was es mit dem alten Hotelbereich auf sich hatte. Die Wände schienen aus Pappe zu sein, ich konnte links zuhören was der Typ am Handy zu besprechen hatte, zumindest so lange bis der Typ im Zimmer rechts von mir zu schnarchen begann. Der sägte derart stark dass ich dort einen 200kg Mann vermutete.

Achtelfinale
Die Nacht ging rum und am nächsten Morgen brauchte ich vom Bett zum 2,5m entfernten Bad locker 2 Minuten. Ich dachte das Achtelfinale absagen zu müssen. Aber ich wollte nun doch auf den Platz, wenigstens ein paar Bälle schlagen.
Also Frühstück eingeworfen und zur Halle gefahren. Die Beine lockerten sich bei der Bewegung ein wenig, aber mir war klar da geht nicht viel.

Mein Gegner Guido aus Berlin nutzte das dann auch deutlich und humorlos aus und beendete das Turnier für mich mit 6:1 6:0. Ich hätte gern noch was getrunken, aber er lud mich nicht ein....hmmmmmm ;-)

Alles in allem ein interessantes wenn auch aufwendiges Event, viele interessante und nette Leute kennengelernt, toll war es wie viele Freunde am Handy und auch online (es gab einen Live-Ticker) mitfieberten.

Am Ende unter die Top 16 von 72 Teilnehmern gekommen. Geht sicher schlechter...

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